Lie­be Gemeinde,

dass ich ein­mal gezwun­gen sein wür­de, das Hei­li­ge Oster­fest ganz ohne Gemein­de fei­ern zu müs­sen, hät­te ich mir als Pries­ter nicht vor­stel­len kön­nen. Das Gan­ze aber zwei­mal erle­ben zu müs­sen – 2020 und 2021 – noch weniger.

Für uns alle wird die Zeit der Coro­na-Pan­de­mie als eine Kri­se ein­ge­hen wie wir sie seit dem Ende des zwei­ten Welt­krie­ges in der BRD nicht mehr erlebt haben.

Das grie­chi­sche Wort Kri­sis (κρίσις) meint Zuspit­zen, Unter­schei­den und Ent­schei­den. Eine Kri­se kann man nicht ein­fach aus­sit­zen und hof­fen, dass alles irgend­wie noch gut wer­den wird. Man muss in einer Kri­se han­deln und aus einer Kri­se Leh­ren zie­hen. Mir führt die Pan­de­mie vor Augen, wie unbe­re­chen­bar das Leben ist. Das meis­te von dem, was ich vor­hat­te und plan­te für die­ses Jahr, hat sich in Nichts auf­ge­löst. Fin­det nicht statt. Und mir geht es dabei noch gut. Den­noch fra­ge ich mich: wer wer­de ich, wer wer­den wir sein nach die­ser Kri­se? Sie wirft uns ja alle irgend­wie zurück. Dass sich von einem auf den ande­ren Moment das Leben total ändert, davon leben ja Roman, Film und Serie. Als Zuschau­er berei­tet mir das all­abend­lich ange­neh­men Ner­ven­kit­zel. Dass aber ein sol­ches Schick­sal die gan­ze Gesell­schaft – ja fak­tisch alle Län­der die­ser Welt betrifft, ist eine abso­lut neue Erfahrung.

 

 

Wei­ter­le­sen

Ich kann aber durch­aus ver­su­chen, etwas Posi­ti­ves aus die­ser Zeit zu zie­hen. Dann sage ich mir: ich bin Teil die­ser Welt, die­ser Schöp­fung. Und ich mer­ke: dar­über kann ich mich nicht erhe­ben und dar­über soll ich mich auch gar nicht erhe­ben. Für die­se Lebens­ein­stel­lung exis­tiert ein altes, kaum noch gebrauch­tes Wort: Demut. Das Wort hat es nicht leicht in unse­rer Zeit: Demut. Schon das deut­sche Wort ist schwie­rig. Es meint in der Wur­zel Dienst­wil­lig­keit, gemünzt auf Abhän­gi­ge, Knech­te und Skla­ven. Wah­re Demut ist aber nicht Selbst­lo­sig­keit und nicht Unter­ord­nung. Demut erscheint viel auf­schluss­rei­cher, wenn ich sie in freund­schaft­li­chen Bezie­hun­gen den­ke. Im Johan­nes­evan­ge­li­um sagt Jesus zu sei­nen Jün­gern: Ich nen­ne Euch von nun an nicht Knech­te, son­dern Freunde!

Im Johan­nes­evan­ge­li­um ist Jesus wah­rer Mensch und wah­rer Gott, der so zu den „Sei­nen“ spricht. Demut heißt dann auch: Gott ist mehr als mein Duz­kum­pel und mein Freund. Er ist eben auch Schöp­fer, Erhal­ter und Erlö­ser. Dass wir Gott nicht nur lie­ben, son­dern auch fürch­ten sol­len, indem wir uns als SEI­NE Geschöp­fe ver­ste­hen, das lehrt mich die Kri­se. Gott fürch­ten im Sin­ne von ehr­fürch­tig sein und mei­ne Geschöpf­lich­keit anzu­er­ken­nen. In sol­cher Ehr­furcht steckt das Aner­ken­nen von Zusam­men­hän­gen, Mecha­nis­men, die mich viel­fach über­stei­gen. For­schung und Tech­nik haben teil an der Schöp­fung, ent­schlüs­seln sie und ver­su­chen, sie zu ver­ste­hen. Aber sich dar­über erhe­ben, das Leben für bere­chen­bar und plan­bar hal­ten, das rächt sich. Wenn uns Coro­na die­se Demut leh­ren kann, dann hat die Kri­se hof­fent­lich auch ihr Gutes. Ich wün­sche Ihnen allen wei­ter­hin eine gute und gesun­de Osterzeit.

Ihr Pro­fes­sor und Pas­tor
Adri­an Wypadlo