Am Sonntag, 19. November 2023, präsentierte der Siegener Kammerchor Weidenau in der Pfarrkirche St. Joseph die nicht sehr oft aufgeführte „Petite Messe Solennelle“ (Kleine feierliche Messe). Gioachino Rossini, seines Zeichens Opernkomponist und bedeutendster Ausstatter der Operngattung Belcanto, hatte 34 Jahre nach Fertigstellung seiner letzten Oper „Guillaume Tell“ im Jahre 1863 doch noch das Bedürfnis, eine sakrale Musik zu schreiben. Da kam ihm der Auftrag von Comte Alexis Pillet-Will und dessen Gattin Louise gerade recht. Die beiden wünschten sich eine Musik für die Einweihung ihrer Privatkapelle, die so „petite“ war, dass kein großes Orchester Platz darin fand. Zwei Klaviere und ein Harmonium mussten reichen für die „Petite Messe Solennelle“, die Rossini, mittlerweile 71 Jahre alt, ironisch als „letzte Todsünde seines Alters“ bezeichnete, was wiederum ein Fingerzeig auf seine 13-bändige Sammlung kleinerer geistlicher Werke war: die „Péchés de vieillesse“, die Sünden des Alters.
Auch dass Männer und Frauen gemeinsam in einem Kirchenchor auftraten, war damals ein Novum. Bei der Uraufführung waren es nur zwölf: Männer, Frauen und – Kastraten.
Das Werk besteht aus den in einer musikalischen Messe üblichen Sätzen Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei, ergänzt durch ein Klaviersolo („Offertorium“) und ein von der Sopransolistin gesungenes „O salutaris hostia“ und bietet auf knappem Raum alles, was eine Messe ausmacht. Die Handschrift eines Opernstars ist in dem sakralen Werk eindeutig zu erkennen, und sowohl der Chor als auch die Solisten und Instrumentalisten hatten Freude an der heiteren, schwungvollen und spannenden Musik. Rossini spaziert in seinem Werk freudig durch die Tonarten, was den Mittelstimmen hohe Konzentration und gutes Aufeinanderhören abverlangt. Die höchsten Sopran-Lagen sind gut zu bewältigen, und die Partitur singt sich – wie Sänger gerne sagen – butterweich. Natürlich mit italienischer Aussprache des lateinischen Textes! Der bestens vorbereitete Kammerchor Weidenau sang die langen Kantilenen im Kyrie mit intensiven dynamischen Schattierungen. Die Schlussfugen im Gloria und im Credo wurden mit Leichtigkeit und Transparenz vorgetragen. Inniglich flehend im Piano bis zum Fortissimo würde die eindringliche Bitte um Frieden am Ende des Agnus Dei vom Chor interpretiert.
Rossini erfand sogar eine eigene Tempoanweisung für sein „Credo“, nämlich „Allegro cristiano“. Ob er das ernst meinte? Wer weiß es, denn auch seine ironische Widmung „Lieber Gott. Hier ist sie, die arme kleine Messe. (…) Ich bin für die Opera Buffa geboren, das weißt du wohl! Ein bisschen Können, ein bisschen Herz, das ist alles. Sei also gepriesen und gewähre mir das Paradies.“ lässt Raum für Interpretationen. Auch die „Petite messe“ kann man als feine Ironie verstehen, dauert sie doch fast 90 Minuten und verspottet quasi die damals angesagte Üppigkeit in der Musik.
Feierlich wurde es auch, als Dr. Christoph Sobanski das etwas strengere, Johann Sebastian Bach verehrende „Offertorium“ auf dem Steinway-Flügel intonierte, ein Erbstück des 2010 verstorbenen Siegener Universitätsprofessors und Orgel-Experten Dr. Hermann J. Busch. Das Offertorium würde auch auf einer Orgel wunderbar klingen! Rossini studierte das Werk von Bach, er hatte sogar ein Abo der Bach-Gesamtausgabe und freute sich unbändig auf jede neue Lieferung.
Zum Gelingen des Konzerts trugen vier bewährte Solisten bei. Eine schöne Geste, als Sopranistin Andrea Artmann und Altistin Susanne Kelling einander zunickten, bevor sie ihr Duett begannen. Der Tenor Gustavo Martín Sánchez überzeugte mit einem Timbre, das zwischen Oper und Kirchenmusik changierte. Der Bassist Mathias Tönges wusste seine sonore Stimme wirkungsvoll einzusetzen. Akzente setzte Maik Hester mit seinem Akkordeon, das dem Klang eines Harmoniums sehr nahekommt, im Duett mit dem Klavier und dem dann einsetzenden Chor. Das Kirchenschiff in St. Joseph ist gekennzeichnet durch einen langen Nachhall – Fluch und Segen zugleich. So musste Dekanatskirchenmusikerin Helga Maria Lange das Tempo der Messgesänge um der Textverständlichkeit und des Klanges willen anpassen, was der Chor unter ihrem engagierten Dirigat souverän meisterte.
Manche Zuhörer lauschten mit geschlossenen Augen den Melodien, die wie ein neugieriger Ohrwurm durch den Quintenzirkel mäanderten. Unerwartete Wendungen und in diesem Genre nicht oft zu hörende Akkordeon-Klänge zeichnen diese Messe aus, was die Zuhörer mit Aufmerksamkeit belohnten. Durch den ständigen Wechsel von Chor- und Solopassagen kam keine Langeweile auf. So vergingen die anderthalb Stunden des Konzerts wie im Flug, und langer Applaus im Stehen wurde den Musikanten zuteil.
Text: Johanna Schirmacher
