Zum Aus­klang des 3. Sonn­tags der Oster­zeit hat­te die katho­li­sche Kir­chen­ge­mein­de St. Joseph in Sie­gen-Wei­den­au zum Orgel­kon­zert mit der gebür­ti­gen Sie­ge­n­e­r­in und Wahl-Ham­bur­ge­rin Maryam Haiawi ein­ge­la­den. Zur Freu­de der Deka­nats­kir­chen­mu­si­ke­rin Hel­ga Maria Lan­ge waren mehr Zuschau­er gekom­men als zu manch ande­ren Kon­zer­ten mit eben­falls renom­mier­ten Organisten.

Maryam Haiawi, die in der Pfar­rei St. Joseph als Jugend­li­che ihre ers­ten musi­ka­li­schen Schrit­te unter­nahm, erwähn­te in ihrer kur­zen Anspra­che, dass sie ein nach­ös­ter­li­ches Pro­gramm zusam­men­ge­stellt hat­te. Eine klug aus­ge­wähl­te Abfol­ge von Wer­ken berühm­ter Kom­po­nis­ten erwar­te­te die Zuhö­rer. Johann Sebas­ti­an Bachs Prä­lu­di­um und Fuge a‑Moll, BWV 543, war der klang­präch­ti­ge Auf­takt, gefolgt von sei­nem “Trio super ‘Herr Jesu Christ, dich zu uns wend’ ” (BWV 655). Die baro­cke Ton­spra­che ist dem heu­ti­gen Zuhö­rer noch wohl­be­kannt. Die dar­auf­fol­gen­den Wer­ke führ­ten dann mehr und mehr in die Moder­ne, und Maryam Haiawi meis­ter­te die schwie­ri­gen und kom­ple­xen Orgel­wer­ke mit Bra­vour. Im frisch reno­vier­ten Kir­chen­schiff lausch­ten die Zuhö­rer auf­merk­sam der Organistin.

Eine drei­tei­li­ge Sona­te des Fla­men Jac­ques-Nico­las Lem­mens, der im 19. Jahr­hun­dert leb­te und wirk­te, war das nächs­te Orgel­werk, das einen klang­li­chen Gegen­satz bil­de­te und mit leicht­fü­ßig per­len­den Ton­läu­fen auf­war­te­te, einen fei­er­li­chen “Adoration”-Mittelteil hat­te und mit einem majes­tä­ti­schen “Alle­lu­ja” ende­te. Lem­mens war einer der füh­ren­den Orga­nis­ten sei­ner Zeit und arbei­te­te in Bel­gi­en, aber auch in Frank­reich und Groß­bri­tan­ni­en. Er grün­de­te das Lem­mens-Insti­tut, eine Schu­le für Kir­chen­mu­sik. Sein Schü­ler war der in Orgel­krei­sen berühm­te Charles-Marie Widor, des­sen Fami­lie mit dem eben­so berühm­ten Orgel­bau­er Cavail­lé-Coll befreun­det war. Die­ser ent­deck­te Widors Talent und för­der­te den 14Jährigen im Orgelspiel.

Von Widor, der für sei­ne volu­mi­nös klin­gen­den Wer­ke bekannt ist, spiel­te Maryam Haiawi den Cho­ral aus der Sym­pho­nie Nr. 10, genannt “Roma­ne”, in D‑Dur, ein ruhi­ges Stück im Tem­po Ada­gio, qua­si als Anlauf zum Höhe­punkt im Pro­gramm­ab­lauf: Prä­lu­di­um und Fuge H‑Dur, op. 7 Nr. 1 von Mar­cel Dupré, gebür­tig 1896 aus Rouen, der in eine Zeit her­an­wuchs, in der bereits Schall­plat­ten­auf­nah­men ent­stan­den. Das Werk kom­po­nier­te er um 1910 als Vor­be­rei­tung auf den Rom-Preis 1914. Die Orgel-Welt hielt es zunächst für äußerst schwie­rig zu spie­len, so dass eine Publi­ka­ti­on zunächst nicht mög­lich erschien, wäre da nicht das begeis­ter­te Publi­kum gewe­sen. Den­noch dau­er­te es noch rund 50 Jah­re, bis der Fran­zo­se André Fleu­ry 1963 die ers­te Ein­spie­lung auf Schall­plat­te vor­nahm. Gra­ham Steed, Ver­fas­ser eines Buchs über Duprés Orgel­wer­ke, hält die­ses Werk für “gefähr­lich, um es im Kon­zert zu spie­len”. Mit wel­cher Läs­sig­keit Maryam Haiawi sol­che hoch­kom­ple­xen Kom­po­si­tio­nen spiel­te, war stu­pend! Spon­ta­ner Zwi­schen­ap­plaus bestä­tig­te die Begeis­te­rung des Publi­kums. Die Orga­nis­tin merk­te spä­ter lächelnd an, das Werk habe durch­aus “sport­li­che” Ambitionen.

Es folg­te noch eini­ge Varia­tio­nen auf “O filii et filiae” aus “Twel­ve Cho­ral Pre­ludes” der ein­zi­gen Kom­po­nis­tin im Pro­gramm, Jean­ne Demes­sieux, die von 1921 bis 1968 in Frank­reich leb­te und als Pari­ser Orgel­le­gen­de von La Made­lei­ne Berühmt­heit erlang­te. Maryam Haiawi schrieb vor zehn Jah­ren eine Arbeit über das Orgel­werk die­ser Musi­ke­rin. Auch die­se Orgel­va­ria­tio­nen haben es in sich, aber Maryam Haiawi blüh­te förm­lich auf, je kom­ple­xer die Stü­cke wur­den. Als Abschluss des Abends erklan­gen wei­te­re Varia­tio­nen, und zwar über ein liba­ne­si­sches The­ma “Aalaiki’ssalaam” (Frie­de sei mit dir), in dem man schon fast jaz­zi­ge Ele­men­te aus­ma­chen konn­te. Naji Hakim ist der ein­zi­ge noch leben­de aus der Rei­he der gespiel­ten Kom­po­nis­ten. Von 1993 — 2008 arbei­te­te er, als Nach­fol­ger von Oli­vi­er Mes­siaen, als Titu­lar­or­ga­nist an der Pari­ser Kir­che La Trinité.

Den star­ken Schluss­ap­plaus belohn­te die jun­ge Orga­nis­tin mit einer Zuga­be von Johann Sebas­ti­an Bach “Scha­fe kön­nen sicher wei­den” aus der Kan­ta­te “Was mir behagt, ist nur die munt­re Jagd” (BWV 208) und schloss mit die­ser schlich­ten, aber zu Her­zen gehen­den Melo­die den Kreis zurück zu Bach.

Text erstellt von Johan­na Schirm­a­cher, 24.04.2023