Es müsse weiterhin Missbrauch aufgedeckt und an Schutzkonzepten gearbeitet werden, aber man dürfe auch wissen, wo es Halt gebe: beim Herrn der Kirche, der diese vor 2000 Jahren gegründet habe, sagte er am Sonntag, drei Tage nach Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtes, in der Predigt.
Dass die Kirche auch nach 2000 Jahren, in denen es viel Gutes, oft im Verborgenen, aber eben auch Schändliches gab, noch lebe, sei erstaunlich und ein Beweis für ihren göttlichen Ursprung.
“Zahlreiche Weltreiche sind verfallen, die Kirche besteht bis heute“, zitiert er einen befreundeten Theologen.
Lesen Sie die Predigt hier
„Die Kirche lebt. Ein Wunder“
Predigt von Pfarrer und Dechant Karl-Hans Köhle
am Sonntag, 23. Januar 2022,
drei Tage nach Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens
„Macht euch keine Sorgen;
denn die Freude am Herrn ist eure Stärke“.
Oder, in einer anderen Übersetzung heißt es:
„…und seid nicht traurig,
denn die Freude am Herrn ist eure Stärke“.
Diese wunderbaren Worte stehen am Ende der heutigen Lesung des Propheten Nehemia (5. Jhdt.v.Chr.). Das Volk war aus dem babylonischen Exil zurückgekehrt und nimmt nun neu die Weisungen Gottes, die an Mose ergangen waren, auf.
Es ist der Prophet Esra, der das Wort Gottes vorträgt und es dem Volk erklärt. Die Reaktion des Volkes: es erneuert freudig und gerührt den einst am Sinai mit Gott geschlossenen Bund.
450 Jahre später schreibt Lukas, der Evangelist, er habe es „unternommen, den Ereignissen des Lebens Jesu nachzugehen und sie von Beginn an der Reihe nach aufzuschreiben“.
Zweimal — im Alten Bund, im Neuen Bund — aufgeschriebenes Wort Gottes für die Menschen!
Was steht in diesem Wort? Es ist die Geschichte Gottes mit den Menschen. Sie beginnt mit der Schöpfung, dann gibt Gott durch Mose das Gesetz, dann spricht er durch die Propheten und schließlich durch Seinen Sohn, der im Geist bei uns bleibt — in der Zeit der Kirche.
Gott will sich also mitteilen, will Gemeinschaft.
Das II. Vatikanische Konzil hat das so ausgedrückt: „In den heiligen Büchern kommt der Vater, der im Himmel ist, seinen Kindern in Liebe entgegen und nimmt mit ihnen das Gespräch auf.“
Wir können dieses Wort entdecken in der persönlichen Schriftlesung, beim Bibel Teilen und im Hören auf das Wort im Gottesdienst. Dieser Gott der Liebe ist präsent. Er geht mit Seinem Volk und geht Seinem Volk weiter voran, auch heute, auch mit uns.
Und dieser Gott will unsere Antwort auf Sein Angebot. Dazu muss ich aber bereit sein, nicht meinem, sondern Seinem Willen zu folgen. Und das heißt auch: der Maßstab, an dem wir uns immer wieder messen lassen müssen, ist Jesus selbst:
„Herr, zu wem wollen wir gehen, Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes! Nur du hast Worte des ewigen Lebens.“
Ein wunderbares Zeugnis. Es war die Antwort des Petrus auf die Frage Jesu: „Wollt auch ihr gehen?“. Er hatte fordernde Wort gesprochen, daraufhin hatten sich viele von Jesus getrennt. Und dann fragt er seinen engsten Jüngerkreis: „Und ihr? Wollt auch ihr gehen?“
Die Antwort des Petrus ist klar: „„Herr, zu wem wollen wir gehen? … Nur du hast Worte des ewigen Lebens.“
Das ist für mich Trost und Halt in schwierigen Zeiten! In Zeiten, in denen eine große deutsche Tageszeitung im Blick auf die Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens titelt: „Ist die Kirche noch zu retten?“
Ich stieß jetzt wieder auf einen Artikel eines lieben Freundes über die Kirche, wo er schreibt: „Dass die Kirche bisher überlebt hat, ist die erstaunlichste Tatsache im Weltgeschehen, nach Weihnachten, Karfreitag und Ostern, nach Jesu Geburt, Sterben und Auferstehung. Zahlreiche Weltreiche sind verfallen, die Kirche besteht bis heute“. Die Kirche besteht bis heute, obwohl sie so viele Sünderinnen und Sünder in ihren Reihen hatte und hat.
Und weiter schreibt der Freund: “Auch Zeiten mit den lasterhaften Renaissance-Päpsten überlebte die Kirche“. Man geht davon aus, dass ca. 14 Nachfolger auf dem Stuhl Petri, besonders in der Renaissance-Zeit, unwürdig dieses Amt ausgeübt haben: Prunk und Gloria.
Liebe Schwestern und Brüder, vergessen wir auch nicht, wie sehr die Christen dieser Welt positiv ihren Stempel aufgedrückt haben und auch heute noch aufdrücken. Oft in aller Stille praktizieren sie Liebe, Güte und Barmherzigkeit, ohne dass die Öffentlichkeit es merkt, ohne Schlagzeilen, an Krankenbetten und in Elendsvierteln. Immer im Auftrag Jesu und Gottes, der im Psalm gesagt hat: „Auch wenn Vater und Mutter dich verlassen, ich verlasse dich nicht.“
Ich kann nicht viel sagen zum Missbrauchsgutachten aus München. 1000 Seiten.
Fest steht, dass wir zum Herrn kommen dürfen, um IHM unsere Anliegen, unser Leid und unseren Schmerz vorzutragen.
„Die Freude am Herrn ist eurer Stärke.“
Vielen ist in diesen Tagen nicht nach Freude zumute, wenn man wieder erfährt, wie viele Priester und kirchliche Mitarbeiter Kinder und Jugendliche missbraucht haben. Und dennoch bleibt dieses Wort aus dem Buch Nehemia.
Das andere ist Petrus: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch“.
Das bedeutet nicht, die Hände in den Schoß zu legen, sondern weiter für Aufklärung zu sorgen, so schmerzhaft das auch ist, weiter am Schutzkonzept zu arbeiten, um die schlimmen Taten möglichst zu verhindern und ihnen vorzubeugen.
Aber es sagt uns, wo in aller Not und Verwirrung unser Halt ist. Und dass diese Kirche nicht eine weltliche Institution ist, sondern — bei aller Menschlichkeit, bei aller Sündhaftigkeit - sich Jesus, dem Gottessohn verdankt. Mit den zwölf Jüngern, die er um sich sammelte, hatte es begonnen, dann waren es zweiundsiebzig und dann immer mehr. Heute hat allein die katholische Kirche 1,3 Milliarden Mitglieder weltweit.
ER trägt diese Kirche, mit dem Fels Petrus an der Spitze, seit 2000 Jahren, er wird sie auch weiter tragen, bis zum Ende der Zeit. Und daher können wir in Seinem Namen weiterhin das für die Menschen tun, was Er selbst vorgemacht hat und was uns im Evangelium heute gesagt wird:
Der Geist des Herrn ruht auf mir;
denn er hat mich gesalbt.
Er hat mich gesandt,
damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe;
damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde
und den Blinden das Augenlicht;
damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze
und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.
Die Kirche lebt. Ein Wunder!
AMEN.